Szene aus »Lazarus«
© Falk Wenzel

 

Im Gespräch mit Peter Dehler (Regisseur) und Holger Gottwald & Alexander Hohaus (Musiker)

Was führte sie auf den Weg, sich dem Stoff Lazarus zu näheren?

Peter Dehler: Der Stoff ist mir sehr nah: Ein Mann, der ziemlich viele Fragen ans Leben hat und einige negative Eigenschaften mitbringt – zu viel trinkt und Drogen nimmt. Ich bin ungefähr so alt wie sich David Bowie die Hauptfigur des Newton vorgestellt hat. Harald Höbinger ist ein Alter Ego, der das wunderbar verkörpern kann, was sich David Bowie ausgedacht hat.
Holger Gottwald: Für mich ist es vor allem der Reiz der Musik. Ich bin mit David Bowie ein Stück weit groß geworden und habe ihn, die Qualität seiner Songs über dieses Stück neu entdeckt. Ein reizvolles Projekt ist es zudem dadurch, dass die Songs in einer theatralischen Variante anders aufgefasst sind als in den gängigen Studioversionen.
Alexander Hohaus: Die Songs wurden erweitert um mehrere Stimmen, sind aber keinesfalls ihres Ursprungs beraubt worden. Der Rock bleibt.

Wer wird von dem Stück angesprochen? Wen lockt ihr ins Theater?

Peter Dehler: Ich glaube, wir erreichen andere Menschen als die typischen Musicalgänger. Wir zielen mehr auf die Menschen ab, die Musicals sonst nicht auf dem Schirm haben. David Bowie ist eine Erscheinung, die eine ganze Generation geprägt hat. Besonders Menschen ab 40 aufwärts werden sich das Stück ansehen. Genauso gehe ich aber davon aus, dass sich junge Menschen von Pop- und Rockmusik begeistern lassen.
Holger Gottwald: Das Bindeglied der Generationen ist die Musik. David Bowie ist eine Marke des Pop. Ich denke, damit erreichen wir ein breites Publikum.
Alexander Hohaus: Vorbereitend kann man sich den Film ansehen, der 1976 entstand und den Boden für das Musical bot: The men who fell to earth.

Warum ist das Musical auch etwas für junge Menschen?

Alexander Hohaus: Die Musik spricht einfach universell Menschen an. Sie ist unabhängig vom Alter.
Holger Gottwald: Das breite Publikum der jungen Menschen lernt die Musik von Bowie nicht mehr kennen. Trotzdem glaube ich, dass viele die Songs – vielleicht sogar ohne es zu wissen – kennen. Seine Musik ist im besten Sinne generationsübergreifend.

Lazarus ist eine biblische Figur, die von den Toten erweckt wurde. Wie fügt sich der mythische Hintergrund in das Stück?

Peter Dehler: Es geht darum, dass sich jemand in einer Zwischenwelt befindet. Er will, aber kann nicht sterben. Wobei das Wort »Lazarus« im gesamten Stück nicht einmal vorkommt. Es gibt bei Bowie nie direkte Aussagen. Alles ist poetisch. Lazarus ist eine Überschrift.
Alexander Hohaus: Was den Tod angeht, hat er den gleichnamigen Song »Lazarus« mit dem Wissen geschrieben, dass er bald sterben wird.

Wie wirken Musik und Schauspiel in eurer Inszenierung zusammen? Warum singen Schauspielende und keine professionellen Sänger*innen?

Peter Dehler: Das liegt an der Musik. In der Pop-Musik ist es oft so, dass Schauspieler die Songs fast schon besser singen können als Musicaldarsteller. Man braucht nur Schauspieler mit einer tollen Stimme und das haben wir.
Holger Gottwald: Die klassische Ausbildung wäre sogar hinderlich. Das Stimmideal würde unserer Musik im Weg stehen. Unsere Darsteller gehen stimmlich an die Grenze. Das macht Pop und Rock aus.

Die größte Kritik an bisherigen Inszenierungen von »Lazarus« meint, das Publikum will nur das feiern, was es schon kennt. Glaubt ihr, das könnte auch ein Problem eurer Inszenierung sein?

Peter Dehler: Man kennt zwar die Melodien, aber muss sie auch nicht kennen. Sie haben eine eigene Dynamik. Ich glaube nicht, dass es darum geht, sich den Zuschauenden auf irgendeine Weise anzubiedern. Es ist kein Musical, in dem die besten Bowie-Songs aneinandergereiht zu hören sind.
Holger Gottwald: Es ist nicht Mainstream genug. Das Musical ist eine eigene Kategorie. Jeder kann sich an der Stelle abholen lassen, wo er seinen Zugang zu dem Stoff findet.

David Bowie besaß eine eindeutige Obsession auf sein Image: »the medium is the message«. Setzt sich die Inszenierung über die Hauptfigur Newton mit dem übertriebenen Sendungsbewusstsein und seinen negativen Konsequenzen auseinander?

Peter Dehler: Newton hat schon etwas mit Bowie zu tun, geht aber als Figur weit darüber hinaus. Doch Bowie war im übertragenen Sinn ein Außerirdischer, der mit seiner Musik – ähnlich wie Mozart – neue Akzente setzte. Er hat immer eine Figur gespielt.
Holger Gottwald: Das kann man gut nachvollziehen, wenn man sich »Moonage Daydream«, die aktuelle Dokumentation über Bowie, ansieht. Er war immer eine Inszenierung bei allem, was er nach außen gemacht hat. Jede Frage nach Realität hat er mit seinem Spiel geschickt abgewendet.
Alexander Hohaus: Vor allem unterscheidet ihn von der Figur Newton, dass er positiv dachte. Newton ist ein viel zu depressiver Charakter, der nicht mehr zu retten ist.

»Wir können machen, was immer wir wollen!« Unter diesem Motto arbeiteten David Bowie und Coautor Enda Walsh an dem Musical. Spüren die Zuschauenden die Loslösung von alten Prinzipien im Stück?

Peter Dehler: »Lazarus« ist ein sehr verwirrendes Drama. Es ist immer berührend und stark, aber du kriegst es nie zusammen. Man fragt sich: Was ist es genau? Die Geschichte ist nicht nachzuerzählen. Sie findet im Kopf statt. Ein Gedicht, wo jeder etwas anderes verstehen wird.
Holger Gottwald: Ich würde sagen, man versteht das Musical schwerer, wenn man den Film, aus dem es entstanden ist, nicht gesehen hat. Er macht klar, dass jemand von Außen auf der Erde landet.

Ein Grund, warum man in »Lazarus« gehen sollte?

Peter Dehler: Tolle Schauspieler, tolle Geschichte, tolle Musik.

(Das Gespräch führte Jean Pierre Lehmann.)