Artist in Residence : Reinhard Goebel

Reinhard Goebel ist eine lebende Legende der Alten Musik und ein mitreißender Dirigent moderner Orchester. Er entdeckte bereits früh seine Liebe zur Barockgeige – und hat nie aufgehört, Fragen von Bogenstrich und Artikulation akribisch zu lösen, ob mit altem oder »modernem« Instrumentarium. Seit er vor einem halben Jahrhundert sein Ensemble Musica Antiqua Köln gründete, hat er Aufführungspraxis immer wieder neu definiert und seinen Ansatz auch auf moderne Orchester übertragen. 

Auf der Suche nach dem wahren Klang übertrug er mit gleicher Kompromisslosigkeit die Tugenden der Alten Musik auf moderne Streicher. Am Pult diverser Radiosinfonieorchester in Deutschland erweckte er Mannheimer Musik von Cannabich und Johann Christian Bach zu neuem Leben, mischte die Wiener Klassik auf und wies auf die vergessenen Komponisten im Schatten Mozarts hin. Noch zu den bekanntesten Mozartwerken hatte er Neues zu sagen, und immer mehr Orchester folgten ihm dabei: Bayerische Kammerphilharmonie und Mozarteum Orchester, Karajan Akademie der Berliner Philharmoniker oder hr-Symphonieorchester, auch in Frankreich, den Niederlanden, der Schweiz und in Italien sorgte er für Furore.

Reinhard Goebel übernahm 2010 den Lehrstuhl für historische Aufführungspraxis am Salzburger Mozarteum – nicht nur für Spezialisten auf Barockgeigen. Zum Professor Reinhard Goebel wie zum Dirigenten gehören Leidenschaft, unerbittliche Genauigkeit und kritischer Geist. Er ist ein Intellektueller mit Feuer und Schwert in Gestalt von Geigenbogen und Partitur.

Reinhard Goebel im Interview

Wenn Sie nicht Musiker geworden wären, was dann?
Koch.

Ihr Ritual vor dem Konzert?
Erst beim Stimmen des Cembalos, dann den fingerübenden Musikern vor der Türe zum Podium zuhören.

Haben Sie ein Haustier?
Wie sollte ich bei meinem Lebenswandel das wohl schaffen?

Sind Sie abergläubisch?
Von wegen

Ihr Lieblingsgetränk?
Earl Grey, dunkelschwarz, bitte mit Sahne.

Haben Sie schon einmal Halle besucht und mit den hiesigen Orchestern gearbeitet? Was ist Ihr Eindruck von der Stadt und den Klangkörpern Staatskapelle und Händelfestspielorchester?
Das sind zu viele Fragen auf einmal! Halle: im Dezember 1989 direkt nach dem Fall der Mauer erster Besuch, seither immer wieder, insonderheit der Museen wegen. Orchester: ich hatte noch keinen Kontakt…

Sie werden sowohl mit der Staatskapelle als auch mit dem Händelfestspielorchester arbeiten. Macht es für Sie heute noch einen Unterschied, ob Sie mit Ensembles auf historischen oder modernen Instrumenten arbeiten?
Meine eigentliche Zielgruppe nach dem sehr bewusst herbeigeführten Ende von Musica Antiqua Köln anno 2005 sind moderne Orchester.

Was ist Ihnen heute wichtiger? Das Musizieren oder das Musik erklären? Hat sich Ihr Fokus mit den Jahren Ihrer Arbeit verändert?
Da ich ja seit fast 20 Jahren selbst keinen Ton mehr hervorgebracht, produziert habe, kann nur das Erklären von Musik der Mittelpunkt der Arbeit sein. Die analytischen Erkenntnisse des kompositorischen Prozesses zerstören ja nicht das »Wunder Musik«, sondern machen es noch verständlicher, verstehbarer – finde ich.

Was sagen Sie jemandem, der/die Alte Musik/Klassische Musik für nicht mehr relevant hält? Tja Schätzchen, dann eben nicht! Sit on it and rotate …

Worauf freuen Sie sich als Artist in Residence bei der Staatskapelle Halle am meisten?
Auf Musiker, die ihre Instrumente beherrschen, Anregungen aufnehmen und umsetzen, sich hörbar von der Stelle bewegen und von Wellen der Begeisterung getragen ihr Publikum mit einer ebensolchen überrollen…

Zuletzt ein kleines Spiel: überbewertet oder unterbewertet?
Das klassische Konzert …?
Wird als gesellschaftliches Ritual über-, als Ort der Emphase unterbewertet.
Karneval und Fasching? Spaß, weil es so im Kalender steht: doofes Ritual, total kommerzialisiert und sinnentleert. Mein letzter Karneval war 1975.
Händel? Ein hemiolischer Verführer!
Mitteldeutschland? Ziel meiner geheimsten Wünsche. Mein bevorzugter Umweg ist die Autobahn durch die Goldene Aue. Mann, da könnte ich vor Begeisterung schreien …

Konzerte mit Reinhard Goebel