Spielzeit 2025/2026

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Ein rotes gespraytes Auge auf weißem Hintergrund mit Farbspritzern
© Martin Patze

Willkommen zur Spielzeit 2025/26 am neuen theater Halle! : Ach du liebe Zeit!

Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, beschreibt in einem Interview ein grundsätzliches Interesse junger Besucher*innen am Nationalsozialismus. Aber bei der Frage nach dem Gegenwartsbezug, sei es »als würde eine Schranke runtergehen«. Kann Theater diese Schranke öffnen? Kann Kunst historisches Lernen ermöglichen?

Mille: Die Stärke vom Theater ist, dass man schwierigen, komplexen Themen sinnlich empathisch einen Raum geben kann und dadurch etwas erfahrbar macht, was sonst nicht greifbar ist.  

Mareike: Theater hat, so wie heißes Wasser einen Teebeutel aufgießt, die Aufgabe, Geschichte immer wieder aufzugießen. Gerade bezüglich der deutschen Geschichte ist wichtig, dass wir als Theater diesen Aufguss immer wieder zum Anlass nehmen, zum Beispiel den Nationalismus zu untersuchen. 

»Ach du liebe Zeit!« ist das Motto der Spielzeit. Es ist eine Zeitenwende, die wir erleben – bundesweit, in Europa, in den USA. Ist es auch eine Zeitenwende für das Sprechtheater als Medium?

Mille: Das Theater hat das Potenzial, einen Referenzraum zu schaffen, ohne Zwischenflimmern – ohne second screening, ohne Handy. Diese Vertiefung ist ein riesiges Potential und eine große Notwendigkeit in unserer Zeit. 

Mareike: Wir führen dieses Interview ja lange vor Veröffentlichung. Das ist vielleicht unser »Unpotenzial«, diese Behäbigkeit der alten Kunst. Die Möglichkeit, dass von einer Bühne ein Aufstand ausgehen könnte, hatte 1893 zum Verbot von »Die Weber« geführt. In der DDR war das Theater ein Ventil: Es spielte mit Zeichen, auf die sich jede*r einigen konnte. Das ist ein wenig verloren gegangen und doch: Die ewig aktuellen Stoffe des Theaters zeigen uns die Geschichte als veränderbar. Wir können handeln. 

In »Sein oder Nichtsein« wird eine Provinztheatergruppe unfreiwillig zu einer Widerstandsgruppe. Was interessiert dich daran? 

Mareike: Um das Grauen zu überwinden, wollen wir gerne das Grauen verlachen. Die Theatralität der Nationalsozialisten hatte eine unfassbar schlimme Wirkung, beeindruckte aber viele Menschen. Wir nehmen uns diese Ästhetik vor. Es ist auch nur eine Form von konsequentem Kostümbild, Arrangements und Choreografien. Das interessiert mich für das Theater.  

»Die Lungenschwimmprobe« ist eine Uraufführung des Romans von Tore Renberg, die im 17. Jahrhundert spielt. Was ist daran heute von Interesse?

Mille: Die Lungenschwimmprobe ist eine Probe, mit der man feststellen kann, ob ein Kind nach der Geburt gelebt hat oder nicht. Mütter, die eine Totgeburt nicht beweisen konnten, wurden als Mörderinnen mit dem Tode bestraft. Ein harter Stoff, der hier in Halle und Leipzig spielt und einen Schwellenzustand der Gesellschaft beschreibt. Es interessiert mich zu gucken, welche Wurzeln der Aufklärung hier in der Region sind. Und nicht zuletzt ist es ein packender Kriminal-Stoff.

Die Reihe ERINNERN geht in den Stadtraum. Wie wendet ihr euch dabei an das Publikum?

Mille: Wir betrachten die Geschichte von Halle aus drei Perspektiven: Carolin Millner untersucht jüdisches Leben in Halle - wie ist es gewesen und wie ist es heute?  Mit »Opferpopp 2.0« setzt Mirko Borscht bei den »Nullerjahren« an und schaut 20 Jahre später, was aus den Menschen geworden ist. Arbeitswelten wird 2026/27 ein drittes Feld. Wir hoffen, über das Spezifische etwas Allgemeingültiges erzählen zu können. 

Was kann das Hallenser Publikum insbesondere beitragen zu einer Zeit, in der wir nicht mehr sagen müssen »Ach du liebe Zeit«?

Mille: Demokratisch wählen gehen! 

Mareike: Es kann seine unausgesprochenen Geschichten und seine Ansichten mitbringen. Und es kann sie zum Diskurs stellen. So haben wir die Chance, zum Beispiel wissenschaftlichen Publikationen noch etwas anzufügen und damit unsere Identität selbst mitzugestalten.

Mille: Ich wünsche mir, dass wir als Theater unser Publikum dazu ermutigen, zu sagen, ja, ich nehme teil, ja, ich verändere, ja, ich werde aktiv.

Das Gespräch führte Eva Geiler.