Worum geht es in »Der Rosenkavalier«?
Die Handlung ist angesiedelt in Wien, ungefähr zu Mozarts Zeiten, in der Aufklärung. Es geht darin um eine Gruppe von extrem privilegierten Leuten: Adelige und extrem reiche Geschäftsleute. Unter ihnen gibt es eine weibliche zentrale Figur, die Marschallin, die am Anfang des Stückes eine große Liebesgeschichte ausübt mit einem jungen Mann. Die beiden feiern ihre Attraktivität, ihren Erfolg. Und diese Liebesgeschichte ist für beide attraktiv, denn sie gibt beiden extrem viel Selbstbestätigung. Im Laufe des Stückes erfährt die Marschallin dann gewissermaßen eine Art Aufklärung. Sie realisiert, dass alles, was um sie treibt eigentlich nur Eitelkeit und Egoismus ist und sie trifft die Entscheidung etwas Merkwürdiges zu tun: Etwas, das ihr überhaupt nichts bringt. Im Gegenteil. Sie handelt in einem Akt der Selbstlosigkeit. Das ist es auch, was mich am meisten an dem Stück interessiert: Dieses Drama, diese Reise, die diese Figur erlebt. Eine psychologische Reise, die sie zu einem Punkt der Aufklärung führt. Sehr interessant sind auch die anderen Figuren, die nicht so handeln können. Das Stück kritisiert diese Art von Selbstliebe, von Selbstbestätigung, von Egoismus dabei aber nicht. Es feiert sie. Und es ist ja auch wahr: Attraktiv zu sein, geliebt zu sein, erfolgreich und privilegiert zu sein, das sind wunderbare Sachen. Wir sehnen uns, besonders in unserer Gesellschaft, immer nach solchen Erfolgen. Sie fühlen sich gut an. Es ist deshalb nicht so, dass die anderen Figuren blamiert werden sollen oder uninteressant sind. Sie sind wahnsinnig attraktiv, erfolgreich und wollen das feiern. Es ist halt nur so, dass eine von ihnen aus dieser Wahrnehmung heraussteigt. Und das macht es wirklich zu einem sehr tiefen Stück.

Andersrum ist es auch eine Sex-Comedy, banal gesagt. Das Libretto ist wirklich sehr deftig teilweise, sehr amüsant. Es hat mich auch überrascht, als ich das Stück wirklich studiert habe. Man denkt: Okay, im frühen 20. Jahrhundert, da wird sicher alles etwas runtergedrückt aber es ist extrem spritzig, dieses Libretto.

Walter Sutcliffe


Was erwartet das Publikum denn musikalisch?
Ich will unserem wunderbaren GMD nicht die Worte aus dem Mund nehmen aber das ist eine unglaublich reiche Partitur und die Darstellung dieser Partitur durch unsere Sänger und Darsteller ist eine der absoluten Hochleistungen, die es in diesem Geschäft gibt. Das ist textmusikalisch so virtuos geschrieben und muss so virtuos dargestellt werden, das muss man als Zuschauer einfach erlebt haben. Gleichzeitig gibt es kaum ein anderes Stück, wo es so schwierig ist, alles rauszukriegen, was da ist. Die Musik von Strauss kennt fast jeder. Das ist einer der Grundsteine der modernen deutschen Opernkultur. Es ist zwar sehr romantisch aber auch sehr, sehr, sehr spielerisch. Es ist auch extrem groß orchestriert. Vor allem ist es aber wirklich lustig. Der Untertitel des Librettos zum Rosenkavalier ist »Eine Komödie für Musik«. Die Musik rahmt hier viel von dem Komödiantischen. Sie ist ein dritter Kommentar, eine Person. Es gibt ein gutes Beispiel dazu. Es gibt eine sehr berühmte Liebesmusik, die zu den zwei jungen Figuren passt - Octavian und Sophie. Wenn sie sich begegnen ist es, als ob Sterne und funkeln im Himmel. Als wenn man einen Cartoon schauen würde in dem zwei Figuren sich sehen und plötzlich funkeln Herzen und Sterne um ihren Kopf. Das ist eine Intervention des Komponisten in den Moment, eine Einrahmung von der Emotion durch die Musik.

Musikalisch empfiehlt sich das Stück von selbst. Ich kann nicht viel dazu sagen, außer, dass es wirklich frisch ist, dass es wirklich spritzig ist, dass es nicht zu schmalzig, zu romantisch ist. Wir arbeiten sehr hart daran, dass es auch wie Mozart klingt, dass es leicht klingt. Dass es mit dieser Comedy, mit diesem Rossini-Charakter erlebt werden kann. Ich glaube, man kriegt ein fantastisches Breitband und etwas, was sich wirklich lohnt nach diesen drei Stunden Musik.

Von der musikalischen zur ästhetischen Rahmung: Was wird denn auf der Bühne zu sehen sein?
Normalerweise macht man Rosenkavalier in drei großen Bühnenbildern. Ich habe aber eine wirklich andere Ansicht zu dem Stück. Es handelt sich um die Figuren und um ihre Psyche. Und eigentlich bleiben sie mit Blick darauf immer in dem gleichen Raum. Und dieser Raum ist eigentlich ein Spiegel. Sie sehen sich ständig nur selbst. Also habe ich zu Kaspar Glarner, meinem wunderbaren Ausstatter, gesagt: Wie schaffen wir das? Wie kriegen wir die beste, größte Spiegelkammer, die möglich ist, auf diese Bühne? Und wie schaffen wir es dazu, dass sich diese Spiegelkammer auch wandeln kann, dass wir verschiedene Perspektiven haben? Im Ergebnis haben wir viele verschiedene Spiegelelemente, die insgesamt eine große Spiegelkammer ergeben, in der man verschiedene Figuren, Stoffe und Räume nicht nur darstellen, sondern quasi reflektieren kann. Das Ganze lässt sich zu einer Art Kaleidoskop umwandeln. Es gibt verschiedene Säulen, verschiedene Wagen, verschiedene Wände, die sich in diesem Raum bewegen können. Wir können also ständig die ganzen Strukturen ändern. Insgesamt werden wir also eine sehr, sehr reiche Welt auf der Bühne schaffen.
Das passt auch genau zu dem Stück. Das Stück ist psychologische Wahrheit in einem künstlerischen Ambiente. Und genau das wollte ich auch darstellen. Das Bühnenbild sollte nicht realistisch sein, weil das Stück selbstbewusst künstlerisch gemacht ist. Eigentlich ist die Botschaft des Stückes genau wie bei Mozart und Da Ponte, dass die Wahrheit durch die Künstlichkeit von etwas erscheint. Also man braucht Kunst, um Wahrheit zu haben. Das Zwischenspiel zwischen dieser Abstraktion, dieser Künstlichkeit und dieser menschlichen Wahrheit ist, was dem Stück seine Kraft geben wird.